Wenn Pferde die Führung übernehmen dürfen

Heute vor 25 Jahren bist du in diese Welt gepurzelt. Ich hatte zu der Zeit nichts mehr mit Pferden zu tun. Der Traum vom eigenen Pony, den ich als Mädchen träumte schon ausgeträumt. Zu sehr war ich beschäftigt mit Beruf und damit, aus meinem Leben ein Erfolgreiches zu machen.

Dann zogen wir aufs Land und ich joggte jeden Tag neben einem Pferdehof vorbei. Die Pferde, die da aus ihren Padocks auf mich herunter guckten, erinnerten mich wieder. Und so erfüllte ich mir meinen Traum. Lernte erst mal reiten... Denn wie sonst soll man mit Pferden zu tun bekommen?

Bald schon stellte sich heraus, dass ich nicht wirklich zur Reiterin tauge. Ehrgeizig wie ich war, gab ich jedoch nicht auf und meldete mich für die Brevet-Prüfung an. Und so lernte ich dich, liebster Sasha, kennen. In deinem vorübergehenden Zuhause, einer Boxe ohne Tageslicht standen wir uns das erste mal gegenüber und ich war in Tränen aufgelöst vor Rührung oder wohl weil ich spürte, dass ich einem Seelenfreund begegne.

Du hattest damals keinen Menschen. Keine Bezugsperson und auch keine Pferdefreunde. Du «gehörtest» einem Pferdehändler. Er vermietete dich in der gesamten Schweiz herum. Regelmässig musstest du zum Militärdienst, im Sommerurlaub ins Lager um Kinder zu bespassen und dann eben mir zum Brevet verhelfen.

Was für ein Abenteuer da begann…

Kein Pferd hat mich so oft abgeworfen wie du. Das hast du auch nur mit mir gemacht. Bei allen anderen warst du das liebste Pferd. Und doch verliebte ich mich mit jedem Tag mehr und mehr in dich.

Das Reiten habe ich bald aufgegeben, weil du mir gezeigt hast, was für Schmerzen mein Gewicht dir verursacht. Nach einer intensiven Therapiezeit, wo alle deine Wirbel wieder gerichtet wurden, und ich um Wissen der Pferdeanatomie reicher wurde, begann ich zu hinterfragen. Fühlen tat ich schon von Anfang an. Ausgelacht haben mich die anderen. Ich solle aufhören, dich so zu verweichlichen und dir halt die Meisterin zeigen. Dann würde das schon klappen mit uns beiden.

So sind wir ausgestiegen, wir beide. Haben uns ein neues Zuhause für dich gesucht. Eines von vielen, bis wir dich zu uns nach Hause geholt haben.

Endlich konnten wir in Ruhe forschen. Entdecken, was uns beiden Freude bereitet und wie wir künftig miteinander unterwegs sein wollen. Ohne angstmachende Warnungen und Ratschläge.

Heute lebst du mit deinen Pferdefreunden in Fast-Freiheit. Darfst einfach Pferd sein und musst nichts mehr. Jeden Tag feiere ich diese unsere Befreiung. Jeden Tag feiere ich dich für deine Führung und deine Freundschaft. Jeden Tag danke ich dem Leben dafür, dass ich mich getraut habe. Und jeden Tag darf ich spüren, wie zufrieden du bist. Und mich von dir und deiner Herde inspirieren lassen. Was wirklich zählt, dass Zufriedenheit weder mit Leistung, Arbeit noch mit Erfolg zu tun hat. Dafür damit Leben annehmen zu können, wofür wir alle hier sind. So sein wie wir sind. Einander sein lassen. Sinnhaftigkeit darin finden, wozu wir geboren wurden - so viel wie nur möglich lieben und uns freuen. Weil wir Liebe und Freude sind. Nichts und niemanden brauchen, der uns die Freude oder die Liebe gibt. Frieden in und mit uns finden, statt andere dafür verantwortlich zu machen.

Danke Sasha, ich liebe dich! Und heute feiere ich dich, genau so wie an jedem anderen Tag. So wie du mich gelehrt hast.

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Der Weg der Heilung

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Weshalb wir unsere Pferde nicht benutzen und auch nicht reiten – Teil 2